Tenuazonsäure

Kurzzusammenfassung

Tenuazonsäure (TA) wird hauptsächlich von Schimmelpilzen der Gattung Alternaria gebildet. Es gilt als das am stärksten akut giftige Alternaria-Mykotoxin. Eine chronische Toxizität ist unwahrscheinlich. Die Gehalte in Lebensmitteln erreichten teilweise bedenklich hohe Werte. Auch wenn die Ausscheidung von über die Nahrung aufgenommener TA relativ schnell erfolgt, kann eine Gesundheitsgefährdung nicht vollkommen ausgeschlossen werden.

Struktur

Tenuazonsäure (TA) ist ein Vertreter aus der Stoffgruppe der Tetramsäuren. Die chemische Bezeichnung für das chirale Molekül lautet (5S,8S)-3-Acetyl-5-sec.-butyltetramsäure, häufig wird jedoch auch L-Tenuazonsäure oder die Abkürzung L-TA verwendet. Die formale β-Trioxo-Struktur ist hypothetisch, da TA in Lösung als eine Mischung verschiedener externer (I und II) und interner (a und b) Tautomere vorliegt (Abb. 1). Anhand von NMR-Daten lässt sich ableiten dass die exo-Enol-Formen (Ib und IIb) gegenüber den endo-Enol-Formen (Ia und IIa) bevorzugt sind, in organischen Lösungsmitteln und im kristallinen Zustand liegt TA überwiegend als das Tautomer IIb vor [1].

Struktur(en) von Tenuazonsäure (nach [1])

Geschichte

TA wurde erstmals im Jahre 1958 aus einem Extrakt einer Kultur von Alternaria tenuis* isoliert [2]. Die Aufklärung der Molekülstruktur erfolgte ein Jahr später [3].

* Ein historischer Name für Alternaria alternata [4].

Biosynthese

Durch Experimente mit 14C-markiertem Acetat wurde nachgewiesen, dass TA in Alternaria tenuis* aus einem Molekül L-Isoleucin und zwei Molekülen Acetat biosynthetisiert wird [5].

Durch Zusatz von 14C-markierten Aminosäuren zu einer Kultur von A. tenuis* konnte nachgewiesen werden, dass auch die Aminosäuren Valin und Leucin zu den der TA analogen Verbindungen umgesetzt werden, Phenylalanin jedoch nicht [6].

* Ein historischer Name für Alternaria alternata [4].

Biologische Bedeutung

TA wird haupsächlich von Schimmelpilzen der Gattung Alternaria gebildet [7]. Innerhalb der Gattung sind neben Alternaria alternata auch viele weitere Spezies in der Lage TA zu bilden [8].

Weiterhin wurde über eine Bildung von TA durch die Schimmelpilze Piricularia orycae [9, 10] und Phoma sorghina [11] berichtet.

Toxikologie

TA hat cytotoxische, antibakterielle [12], antivirale [13] und phytotoxische [14] Eigenschaften. Die biologische Aktivität der TA ist laut einer in-vivo/in-vitro-Studie auf die Inhibierung der Proteinbiosynthese zurückzuführen, wobei die Freisetzung neu gebildeter Proteine aus den Ribosomen unterdrückt und der Einbau neuer Aminosäuren in Proteine verhindert wird [15].

Die toxikologische Datenlage ist mangelhaft. Die akute Toxizität zeigt eine hohe Variation (siehe Tabelle) [16]. Aus den Daten läßt sich aber ableiten, dass die TA zu den am stärksten giftigsten Alternaria-Mykotoxinen zu zählen ist [6, 17].

Spezies Applikationsform LD50-Werte [mg/kg KG**]
Maus, weiblich oral 81 [18]
Maus, männlich oral 182 [18]
Maus, weiblich i.v. 115 [18]
Maus, männlich i.v. 162 [18]
Maus (ICR), männlich i.v. 125 [13]
Maus (ICR), männlich i.p. 150 [13]
Maus (ICR), männlich s.c. 145 [13]
Maus (ICR), männlich oral 225 [13]
Ratte, männlich i.v. 146 [18]
Ratte,weiblich i.v. 157 [18]
Ratte, männlich oral 180 [18]
Ratte, weiblich oral 168 [18]
Affen (Macaca fascicularis) oral ca. 100-150 [13]

** mg pro kg Körpergewicht

Im Ames-Test gibt es keine Anzeichen für eine Mutagenität von TA [19].

Toxikokinetik

In einer Humanstudie nahmen zwei freiwillige Probanden durch den Verzehr von natürlich kontaminiertem Tomatensaft und Hirse-Getreidebrei aus dem Einzelhandel eine Absolutmenge von 30 µg TA auf. Durch anschließende Untersuchung des Urins wurde festgestellt, dass über einen Zeitraum von 24 Stunden etwa 90 % der aufgenommenen Menge an TA über den Urin wieder ausgeschieden wurde. Dabei wurde das Maximum der Ausscheidungsrate schon circa 2-3 Stunden nach Verzehr des Lebensmittels erreicht [20]. Diese Studie zeigte, dass die Resorption von TA schnell erfolgt, die Verweildauer im Körper allerdings gering ist. Der Verbleib von 10 % der aufgenommenen Menge an TA konnte nicht aufgeklärt werden, so dass sich die Frage nach Metabolisierung bzw. irreversibler Bindung an Körperkompartimente stellt.

Vorkommen in Lebensmitteln

Wegen des weit verbreiteten Vorkommens von Alternaria spp. auf zur Lebensmitttelproduktion verwendeten Pflanzen, läßt sich häufig auch das von diesem Schimmelpilz gebildete Mykotoxin TA in verschiedenen Lebensmitteln nachweisen. Die folgende Liste gibt einen Überblick über die Lebensmittel, in denen TA bisher schon nachgewiesen wurde:

Lebensmittel Anteil positive Proben Gehalt TA [µg/kg]
Weizen (unverarbeitet, Argentinien) 12/64 1000 - 8000 [21]
Weizen (unverarbeitet, China) 22/22 260-6400 [22]
Getreideprodukte 13/27 60 - 850 [23]
Getreideprodukte 11/12 3 - 57 [24]
Bier 37/43 8 - 24 [25]
Tomatenprodukte 16/16 15 - 900 [26]
Tomatenprodukte 26/26 7 - 2330 [27]
Fruchtsaft 44/50 0,5 - 54 [24]
Gewürze 33/38 50 - 37300 [24]
Babynahrung (Hirse) 12/12 130 - 1200 [28]

Grenzwerte

Der Gesetzgeber hat noch keine Grenzwerte für TA erlassen.

Analytik

Die Analytik von TA kann durch chromatographische Methoden wie Dünnschichtchromatographie (DC), Gaschromatographie (GC) und Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) erfolgen, wobei die letztere Analysentechnik stark bevorzugt wird [29].

Allerdings ist die HPLC-Analytik von TA prinzipiell dadurch limitiert, dass TA auf Grund ihrer stark sauren und komplexbildenden Eigenschaften sehr schlechte chromatographische Eigenschaften aufweist. Durch den Zusatz von Zinksulfat oder anderen modifizierenden Zusätzen zur mobilen Phase kann dies kompensiert werden [29].

Da diese Additive bei Verwendung eines Massenspektrometers als Detektor (LC-MS) nicht geeignet sind, bietet sich in diesen Fällen die Derivatisierung von TA als 2,4-Dinitrophenylhydrazon an [23]. Diese Derivatisierung ermöglicht eine sichere und präzise Bestimmung von Tenuazonsäure in Lebensmitteln mittels HPLC gekoppelt mit Tandem-Massenspektroskopie (LC-MS/MS). Matrixabhängige Schwankungen bei der Derivatisierung oder Ionisierung in der Ionenquelle des Massenspektrometers können am besten durch Verwendung eines stabilisotopenmarkierten internen Standards im Rahmen einer Stabilisotopenverdünnungsanalyse (SIVA) kompensiert werden. Für TA wurde dies unter Verwendung von [13C6,15N]-TA erstmals durchgeführt [26].

Ein vielversprechender Ansatz zur direkten LC-MS/MS-Analyse von TA unter Verzicht auf Derivatisierung arbeitet mit dem Zusatz von Ammoniumhydrogencarbonat zur mobilen Phase (pH 7,5), einer entsprechend geeigneten stationären Phase, [13C2]-markierter Tenuazonsäure als internem Standard und unter Verwendung der QuEChERS-Methodik zur Probenvorbereitung [27].

Tenuazonsäure kann auch durch immunochemische Nachweistechniken analysiert werden. Für Apfel- und Tomatenprodukte wurde dafür ein Enzyme-linked Immunosorbent Assay (ELISA) entwickelt [30].

Einzelnachweise

[1] Nolte M.J. et al. (1980) J. Chem. Soc., Perkin Trans. I, 5: 1057-1065

[2] Rosett T. et al. (1957) Biochem. J., 67: 390-400

[3] Stickings C.E. et al. (1958) Biochem. J., 72: 332-340

[4] Woudenberg J.H.C. et al. (2013) Studies in Mycology, 75: 171-212

[5] Stickings C.E., Townsend R.J. (1961) Biochem. J., 78: 412-418

[6] S. Gatenbeck, J. Sierankievicz, Antimicrob. Agents Chemother. 3 (1973) 308.

[7] Bottalico A., Logrieco A.; In: Mycotoxins in Agriculture and Food Safety; Marcel Dekker, Inc.: New York, NY, 1998, S. 65-108

[8] Logrieco A. et al. (2009) World Mycotoxin Journal, 2: 129-140

[9] Umetsu N. et al. (1974) Agr. Biol. Chem., 38: 1867–1874

[10] Umetsu N. et al. (1972) Agr. Biol. Chem., 36: 859–866

[11] Steyn P.S., Rabiet C.J. (1976) Phytochemistry, 15: 1977–1979

[12] Gittermann C.O. (1965) J. Med. Chem., 8: 483-486

[13] Miller F.A. et al. (1963) Nature, 200: 1338–1339

[14] Lebrun M.H. et al. (1988) Phytochemistry, 27: 77-84

[15] Shigeura H.T., Gordon, C.N. Biochemistry, 2: 1132–1137

[16] European Food Safety Authority (EFSA) (2011) EFSA Journal, 9: 2407-2504

[17] Pero R.W. et al. (1973) Environ. Health. Persp., 4: 87–94

[18] Smith E.R. et al. (1968) Cancer Chemother. Rep., 52: 579–585

[19] Scott P.M., Stoltz D.R. (1980) Mutat. Res. Genet. Toxicol. Test., 78: 33–40

[20] Asam S. et al. (2013) Anal. Bioanal. Chem., 404: 4149-4158

[21] Azcarate M.P. et al. (2008) J. Food Prot., 71: 1262-1265

[22] Li F.Q., Yoshizawa T. (2000) J. Agric. Food Chem., 48: 2920-2924

[23] Siegel D. et al. (2009) J. Chromatogr. A, 1216: 4582-4588

[24] Asam S. et al. (2012) Mycotoxin Res., 28: 9-15

[25] Siegel D. et al. (2010) Food Chem., 120: 902-906

[26] Asam S. et al. (2011) J. Agric. Food Chem., 59: 2980-2987

[27] Lohrey L. et al. (2013) J. Agric. Food Chem., 61: 114-120

[28] Asam S. et al. (2013) Eur. Food Res. Technol., 236: 491-497

[29] Scott P.M. (2001) JAOAC Int., 84: 1809-1817

[30] Groß M. et al. (2011) J. Agric. Food Chem., 59: 12317–12322.

© Dr. Stefan Asam