Europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler appellieren an das neu gewählte Europäische Parlament und die Europäische Kommission.
Europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler appellieren an das neu gewählte Europäische Parlament und die Europäische Kommission, die Nutzung neuer Präzisionsmethoden für die züchterische Verbesserung von Kulturpflanzen zu vereinfachen, um die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion in Europa zu ermöglichen.
Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen definiert Ziele für eine nachhaltige Entwicklung unseres Planeten. Auch die europäische Landwirtschaft ist aufgefordert, dazu ihren Beitrag zu leisten. Neue, innovative Werkzeuge der molekularen Pflanzenforschung, wie etwa die Präzisionszüchtung mit Hilfe der Genomeditierung (z. B. mit Hilfe der sogenannten Genschere CRISPR/Cas), haben ein enormes Potential, diese Ziele schneller und effizienter zu erreichen.
Die derzeitige Auslegung der Europäischen Gesetzgebung (case C-528/16) verhindert jedoch den Einsatz von Genomeditierungstechnologien zur Entwicklung verbesserter Nutzpflanzen für eine nachhaltigere Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion in der Europäischen Union. Bereits eine geringfügige Änderung des existierenden Regelwerks würde es erlauben, die Europäische Gesetzgebung mit den Regelwerken anderer Länder zu vereinheitlichen. Dies würde es europäischen Wissenschaftlern, Pflanzenzüchtern, Landwirten und Produzenten ermöglichen, Genomeditierung als Werkzeug zu nutzen, um Beiträge für die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung zu leisten.
Auf Grund der ständig wachsenden Weltbevölkerung, der globalen Erderwärmung und dem kontinuierlichen Verlust an biologischer Vielfalt steht die Menschheit nie da gewesenen Herausforderungen gegenüber. Um diese meistern zu können, müssen wir bereit sein, unsere Lebensweise grundlegend zu ändern und Investitionen in Forschung und innovative, ressourcenschonende Technologien zu erhöhen.
Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion müssen nachhaltiger und umweltverträglicher werden. Zugleich muss der Pflanzenanbau an den sich beschleunigenden Klimawandel angepasst werden. Zum Beispiel bedroht Trockenheit zunehmend die Ernteerträge, wie wir es dieses Jahr wieder in Europa erleben. Um die Nahrungsmittelproduktion langfristig zu sichern, müssen alle zur Verfügung stehenden Technologien verantwortungsvoll genutzt werden. Die Pflanzenzüchtung kann mit der Einwicklung neuer Sorten, die weniger anfällig gegen Krankheiten oder widerstandsfähiger gegen Trockenheit sind, dazu einen entscheidenden Beitrag leisten.
Angesichts der großen globalen Herausforderungen müssen Wissenschaftler und Züchter das Potenzial aller zur Verfügung stehenden Technologien nutzen können. Die konventionelle Kreuzungszüchtung ist limitiert durch die langen Generationszeiten, die für die Kombination günstiger Eigenschaften in einer neuen Sorte notwendig sind. Präzisionszüchtung mit Genscheren kann den Züchtungsprozess deutlich beschleunigen. Sie ermöglicht es Wissenschaftlern und Züchtern, einfacher, schneller und preiswerter als bisher neue Sorten mit verbesserten Eigenschaften zu erhalten. Deshalb sollte es Wissenschaftlern und Züchtern in der Europäischen Union ermöglicht werden, diese neuen Technologien für eine nachhaltige Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion ohne unangemessene Einschränkungen anwenden zu können.
So könnte man zum Beispiel den Einsatz von chemischen Mitteln zur Bekämpfung von Pilzkrankheiten im Weizenanbau deutlich verringern, indem man die sogenannten MLO-Gene, die für die Resistenz gegen den Mehltaupilz verantwortlich sind, mit der Genschere minimal verändert. Diese Art von Veränderung existiert bereits in der Natur, aber es wäre extrem schwierig und würde Jahre bis Jahrzehnte dauern, diese Veränderungen mit konventioneller Züchtung in moderne, ertragreiche Weizensorten einzubringen.
Vor genau einem Jahr, am 25. Juli 2018, entschied der Europäische Gerichtshof, dass Pflanzen, die mit der Genschere erzeugt wurden, genau wie transgene Pflanzen, als genetisch veränderte Organismen (GVOs) eingestuft werden müssen. Gleichzeitig sind Pflanzen, die mit den weit weniger präzisen konventionellen Methoden der Genveränderung (Mutagenese) hergestellt wurden, von der Regulierung ausgenommen. Die Folge ist, dass Pflanzen mit einer einzigen von einer Genschere erzeugten Mutation als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) klassifiziert werden, während konventionell erhaltene Mutanten mit hunderten oder tausenden Mutationen nicht der strengen GVO-Regulation unterliegen.
Die europäische GVO-Gesetzgebung von 2001 ist nicht mehr zeitgemäß und berücksichtigt nicht den aktuellen Stand der Wissenschaft. Es gibt keine wissenschaftlichen Gründe, identische Veränderungen im Genom abhängig von der Methode der Erzeugung zu machen und völlig unterschiedlich zu regulieren. Pflanzen, die einfache, gezielt mit Genscheren erzeugte Veränderungen enthalten und in die keine fremden Gene eingefügt wurden, sind von Pflanzen konventioneller Züchtung nicht zu unterscheiden und genauso sicher.
Die aktuelle Regelung ist wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen und stellt eine unverhältnismäßige Einschränkung dar, die insbesondere den öffentlich finanzierten Forschungsinstitutionen und kleineren Züchtungsunternehmen schadet. Für diese ist es zu teuer und zu aufwendig, die für die Freisetzung von GVOs vorgeschriebenen langwierigen Verfahren zu absolvieren. Als Konsequenz des EuGH-Urteils wird die Nutzung der neuen Präzisionszüchtungstechnologien das Privileg einer kleinen Gruppe finanzstarker multinationaler Konzerne werden. Das macht Investitionen in Forschung und Entwicklung in Europa unattraktiv und wird dazu führen, dass Europa im internationalen Wettbewerb um die Entwicklung neuer Sorten mit verbesserten Eigenschaften zurückfällt.
Die Europäische Union soll ihre hohen Standards für Nahrungsmittelsicherheit und Umweltschutz bewahren. Auch jede nicht als GVO eingestufte Pflanze und deren Produkte werden sorgfältig geprüft. Hierfür wird, in jedem Fall, ein umfangreiches Gesetzeswerk zur Nahrungsmittelsicherheit, zum Sortenrecht sowie zum Schutze der Umwelt und der Artenvielfalt herangezogen.
Die GVO-Gesetzgebung der EU unterscheidet sich von der vieler anderer Länder. Diese klassifizieren Pflanzen nicht als GVOs, wenn sie lediglich Veränderungen aufweisen, die sich von natürlichen Mutanten oder konventionellen Züchtungen nicht unterscheiden lassen. Diese Regelung entspricht dem aktuellen Stand der Wissenschaft und vereinfacht die Nutzung der Genomeditierungstechnologien für die Züchtung verbesserter Nutzpflanzensorten.
Die veraltete GVO-Gesetzgebung der EU wird absehbar zu Störungen des internationalen Handels führen und Konsequenzen für die Nahrungsmittelsicherheit in Europa haben. Da das Ergebnis der durch Genomeditierung erzeugten Veränderungen oft identisch ist mit Mutationen, die spontan in der Natur entstehen, ist es im Normalfall unmöglich von der Anwesenheit einer solchen Veränderung auf die Art ihrer Entstehung zu schließen. Dies bedeutet, dass die aktuelle restriktive GVO-Gesetzgebung der EU bei importierter Ware durch Kontrollen nicht einmal mehr durchgesetzt werden kann.
Es ist deshalb geboten, zeitnah durch eine Modernisierung der europäischen Gesetzgebung eine Angleichung an internationale Standards herbeizuführen. Die europäischen Wissenschaftler und Züchter müssen ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung unseres Planeten leisten können. Dazu müssen sie in der Lage sein, moderne Präzisionstechnologien wie die Genomeditierung ohne unangemessene Einschränkungen und bürokratische Hindernisse einsetzen zu können.
Die Unterzeichner dieser öffentlichen Erklärung fordern die Europäischen Institutionen einschließlich des Europäischen Rats, des neuen Europäischen Parlaments und der zukünftigen Europäischen Kommission auf, die notwendigen Schritte einzuleiten, um das veraltete europäische Gentechnikrecht zu modernisieren und an internationale Standards anzupassen. Nur wenn die massiven Hindernisse bei der Nutzung der Genomeditierung in der Landwirtschaft beseitigt werden, wird es den europäischen Wissenschaftlern und Züchtern möglich sein, international konkurrenzfähig zu bleiben und nachhaltig zum Wohl und zur Gesundheit der Bürger Europas beizutragen.