16.12.2020

Interview mit Silesia-Preisträgerin Daniela Wirtz


Die modernen Methoden der Lebensmittelanalytik haben, gesamtgesellschaftlich betrachtet, unser Wissen über Ernährung nachhaltig verändert. Einerseits wissen wir heutzutage wesentlich mehr über die molekularen Grundlagen unserer Nahrung. Andererseits erkennen wir durch diesen Wissensfortschritt auch, wie vieles uns noch unbekannt ist. Insbesondere der Metabolismus vieler Lebensmittelinhaltsstoffe ist zum Großteil noch eine ‚Blackbox‘.

Interviewer: Die Stoffwechselprozesse, in denen Lebensmittelinhaltsstoffe aufgebaut, umgewandelt und abgebaut werden, ziehen immer stärker das Interesse der Forschung auf sich. So auch in Ihrem Falle, Frau Wirtz. Ihre Masterarbeit mit dem Titel „Vergleichende Studien des Folatmetaboloms in Hefen“ wurde im November mit dem Silesia-Clemens Hanke Master of Science Preis ausgezeichnet. Worum genau ging es in Ihrer Arbeit und worin liegt ihre Relevanz?

Wirtz: Die Arbeit dreht sich um Vitamin B9, im Alltag wohl besser als „Folsäure“ bekannt. Die TUM hat am Lehrstuhl für Analytische Lebensmittelchemie bereits eine gut ausgearbeitete Analysenmethode, um den Folat-Gehalt eines Lebensmittels zu bestimmen. Allerdings ist Vitamin B9 nicht einfach ein einzelner Stoff, sondern vielmehr eine Stoffgruppe. Die unterschiedlichen Vitamere der B9-Gruppe kann man zwar durch chromatographische und massenspektrometrische Methoden sehr gut auseinanderhalten; das Problem ist aber, dass sich die einzelnen Vitamere auch ineinander umwandeln können. Diese Umwandlungen finden sowohl im Metabolismus von folathaltigen Organismen statt wie auch im Labor, wenn man diese Folatquellen für die Messung präpariert. In meiner Arbeit habe ich mich mit Folsäure in Hefe beschäftigt, weil Hefe sehr folatreich und außerdem unkompliziert zu handhaben ist. Im Laufe der sechs Monate habe ich eine Methode entwickelt, wie die B9-Vitamere möglichst schonend aus der Hefe extrahiert, und dabei Umwandlungen oder Zerstörungen von Verbindungen möglichst gering gehalten werden können. So erhält man nun bei der Analyse der Hefe-Proben ein unverfälschteres Bild über die Vitamin B9-Zusammensetzung des Organismus. Ein umfangreiches Wissen über Vitamin B9 ist insofern gesellschaftlich relevant, da es zu den essentiellen Vitaminen gehört, die der menschliche Körper nicht selbst herstellen kann, sondern mit der Nahrung aufnehmen muss. B9-Mangel betrifft etwa jeden zehnten Deutschen und insbesondere für Schwangere ist eine ausreichende Folatzufuhr enorm wichtig.

I.: So wie Sie das beschreiben, klingt Wissenschaft eigentlich gar nicht so schwer. Gibt es trotzdem Probleme, die einen in der Forschung immer wieder auf die Palme bringen?

Wirtz (lacht): Nein, niemals! Spaß – natürlich gibt es Probleme. Manche liegen in der Materie selbst. In meinem Fall, dass Vitamin B9 zu den Sensibelchen der Nährstoffe gehört. Es ist kaum temperatur- und auch nicht lichtstabil. Das bedeutet ich musste die meiste Zeit im Dunkeln arbeiten. Dazu kommen noch die wissenschaftsüblichen Nervereien, wenn das Analysengerät mal wieder zickt, oder die Ergebnisse scheinbar grundlos anders sind als bei der letzten Messung. Forschung ist halt viel Ausprobieren und viel Testen. Man muss dann auch damit leben, dass etwas mal nicht klappt.

I.: Vor allem als junger Mensch, wo man in vielen Dingen des Lebens einfach noch nicht so fest im Sattel sitzt, kann sich die Masterarbeit als eine erste echte Belastungsprobe erweisen. Welche Charakterzüge haben Ihnen dabei geholfen, um dem hohen Leistungsdruck standzuhalten?

Wirtz: Da kann ich nur meinem Umfeld danken, also meiner Familie, meinen Freunden und natürlich meinen Kollegen, die mit mir gelitten haben (lacht), das heißt zeitgleich die Masterarbeit angefertigt haben. Zu sehen „Aha, denen geht es genauso“, hilft schon, und man peppelt sich dann gegenseitig wieder auf, und hilft sich auf die Füße. Wichtig ist freilich auch ein gutes Betreuungsverhältnis, das heißt eine professionelle Bezugsperson, wo man sich nicht schämen muss, wenn man Rückschläge oder einmal eine etwas doofe Frage hat. Und letztlich ist es ja eine absehbare Zeit, und der Ausblick auf das, was nach den sechs Monaten Masterarbeit kommt, kann einen auch motivieren am Ball zu bleiben.

I.: Die Studiengänge der Lebensmittelwissenschaften erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit bei jungen Menschen. Jetzt, da Sie im Schulterblick auf Ihr Studium blicken – worin sehen Sie da die besondere Attraktivität der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Lebensmitteln?

Wirtz: Von Lebensmitteln ist jeder Mensch betroffen, sie sind im täglichen Leben praktisch immer da. Der Fortschritt in den life sciences führt auch dazu, dass sich mehr Menschen dafür interessieren, wie sich Inhaltsstoffe auf den Körper auswirken. Ich ganz persönlich würde mich als „Foodie“ beschreiben, das heißt als jemanden der sich schon immer für Lebensmittel interessiert, und, naja, Chemie mochte ich auch, da lag die Studienwahl Lebensmittelchemie sehr nahe. Letzten Endes hat mich auch interessiert, was denn in Schokolade und Kuchen – die ich sehr gerne konsumiere – so alles drin ist.

I.: Wie jede Wissenschaft ragt auch die Lebensmittelanalytik über ihr genuines Fachgebiet hinaus und beeinflusst unsere Gesellschaft in der Art und Weise, wie wir Lebensmittel empfinden. Die zunehmende Angst vor ‚Fremdstoffen‘ (also Schwermetallen in Meeresfrüchten, Glyphosat in Bier oder ähnliches) ist dabei nur einer der Trends, die sich ausmachen lassen. Auch das Kalorien- und Proteinzählen, wie es in Fitness-Kreisen oft anzutreffen ist, ließe sich nennen. Es scheint also, als wäre der Fortschritt der Lebensmittelanalytik mit etwas verbunden, dass man positiv betrachtet als bewusstere Ernährung verstehen kann. Andersrum könnte man aber auch sagen, wir essen nicht mehr so unbeschwert wie früher. Wird unsere Gesellschaft übersensibel, was Ernährung angeht?

Wirtz: Das ist individuell unterschiedlich. In meinem Umfeld wird hauptsächlich sehr unbeschwert gegessen. Man nimmt sich, worauf man Lust hat, und ich finde das erst einmal gut. Ich denke nämlich, dass Essen viele positive Wirkungen hat: Es füllt einen mit Energie, und außerdem schadet es nicht sich abseits des Alltagstresses mal über einen Snack zu freuen. Wichtig ist also die positive Einstellung zum Essen. Wer angesichts von Schnitzel oder Schokokuchen leicht mal schwach wird, sollte nicht zu hart mit sich sein. Andererseits gilt auch: Wenn jemandem das Kalorien- oder Proteinzählen Spaß macht und man sich am Ende über die positiven Effekte freut, dann ist das doch super. Aus gesellschaftspolitischer Sicht ist natürlich hinzuzufügen, dass es langfristig Ernährungsgewohnheiten braucht, die ein "Win-Win-Win" darstellen, d.h. Lebensmittel, die lecker schmecken, gesund sind und verantwortungsvoll produziert wurden. Eine Umstellung der individuellen Ernährung in diese Richtung ist sicherlich wünschenswert. Letzten Endes muss man aber auch Verständnis dafür haben, dass der Mensch in Teilen ein Gewohnheitstier ist – sonst wäre wohl der Cheat-Day nie erfunden worden!

I: Herzlichen Dank für Ihr Antworten, Frau Wirtz.