EKFZ-Update Ernährungsmedizin am 15./16.10.2021: Digital und zukunftsweisend
Über 400 Multiplikatoren verfolgten zum ersten Mal virtuell einen bunten Reigen aktueller, ernährungsmedizinischer Themen aus Wissenschaft und Praxis am EKFZ für Ernährungsmedizin
Aktuelles aus der Adipositasforschung und – therapie stand am ersten Tag im Fokus der Veranstaltung. Gute Erfolge bei der Behandlung von Betroffenen, die stark unter Adipositas leiden, können erzielt werden, wenn die Therapie sowohl die beiden Säulen Ernährung und Bewegung als auch verhaltenspsychologische Elemente beinhaltet. Diese sogenannte Basistherapie zur Gewichtssenkung sollte am Anfang immer einem chirurgischen Eingriff vorgezogen werden und kann durch spezielle Medikamentengabe unterstützt werden.
Bei der Beleuchtung von wirksamen Maßnahmen zur Gewichtssenkung, wurde ferner auch der wichtigen Frage nachgegangen, wie sich ein stabiles Essverhalten etablieren lässt. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass derzeit weltweit über 600 Millionen Personen adipös sind und 2000 Millionen Menschen Übergewicht aufweisen und Adipositas (d.h. starkes Übergewicht) als Treiber für viele Krankheiten angesehen werden muss. Darüber hinaus ist Adipositas selbst ein Krankheitsbild, welches jedoch in den Köpfen der Gesellschaft häufig noch nicht angekommen ist.
Adipositastherapie und Behandlung von Essstörungen nicht nur während Corona wichtig
Gerade während der Corona-Pandemie ist deutlich geworden, dass vor allem Menschen, die bereits vorher zu viel gewogen haben, nochmal deutlich zugenommen haben. Dies wäre sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten. „Wenig Bewegung und schlechtere Ernährung ist daher eine Begleiterscheinung der Corona-Pandemie, die uns in den nächsten Jahren noch mehr Krankheitsfälle einbringen wird, die auf Übergewicht zurückzuführen seien“, befürchtet Prof. Hauner, Direktor des EKFZ für Ernährungsmedizin.
Dass sich coronabedingt die Lebensbedingungen in Beruf bzw. Schule und Freizeit verändert haben, habe sich auch negativ auf eine Vielzahl an Essstörungen ausgewirkt, was ebenfalls Experten beim EKFZ-Update Ernährungsmedizin thematisierten. Das komplette Ausmaß der Auswirkungen auf das Gesundheitssystem könne derzeit allerdings noch nicht vollständig erfasst werden, so Hauner.
Ernährungsmythen um Milch und Co aufgeklärt
Auch stark in der Öffentlichkeit diskutierte Themen, wie Verträglichkeit von Getreide und Milch und gesundheitliche Wirkung von Gluten, speziellem Eiweiß oder Histamin wurden bei der Fortbildungsveranstaltung adressiert. Die weit verbreitete These Milch(produkte) seien brust- oder dickdarmkrebsfördernd konnte beispielswiese entkräftet werden. Vielmehr bewirke ein zu geringer Verzehr dieser Lebensmittelgruppe eine zu niedrige Calciumzufuhr und müsse als ein Risikofaktor für ernährungsmitbedingte Erkrankungen angesehen werden.
Abgesehen von den daraus abgeleiteten Ernährungsempfehlungen für Klinikalltag und Beratungspraxis erhielten Mediziner und andere Fachkräfte Einblicke in die Ernährung von morgen, welche für Mensch und Umwelt nachhaltig ist. Doch nicht nur Ernährungswissen ist bei einer ganzheitlichen Betrachtung von Nöten, sondern auch gute Ernährungsumgebungen.
Durch einen kleinen Stubs zum richtigen Verhalten
Mit Hilfe von vielfältigen Nudging-Maßnahmen (sogenanntes „Anschubsen“) in Gemeinschaftsverpflegung und anderen Settings kann es gelingen, einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu erleichtern. Bisher gibt es dazu vor allem nur experimentelle Ansätze von eher kurzer Dauer. Langzeitdaten liegen bisher kaum vor. Wie sich jedoch Nudging-Maßnahmen auf die Prävention von Übergewicht und Adipositas auswirken, ist bislang noch unklar. Frau Dr. Holzapfel vom Institut für Ernährungsmedizin gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Essensentscheidungen sehr komplex seien. „Daher sei ein Portfolio an Präventionsmaßnahmen nötig, um am Ende einen Gesundheitseffekt nachweisen zu können. Denn: Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und geht uns alle an.“
Kommunikation ist gut, aber nicht alles
Um die Entwicklung eines Ernährungssystems voranzutreiben, welche zugleich gesundheitsförderlich als auch ressourcenschonend ist, sind verschiedene Anstrengungen seitens der Stakeholder erforderlich, resümiert Hauner. Wir müssen Regierungen und kompetente Einrichtungen, wie die DGE, stärker aktivieren. Es geht darum viel mehr mediengerechte und zeitgemäße Informationen zu liefern und Plattformen zu schaffen, wo der Verbraucher schnell und einfach kompetente Informationen bekommt.
Verbraucher sind zunehmend überfordert, sie wissen, dass die Werbung nicht immer die Wahrheit sagt. Daher ist eine klare Kennzeichnung erforderlich. Auch das fordern wir seit Jahren. Die Einführung des Nutri-Scores® wird jedoch keine Wirkung haben, solange er freiwillig ist, gibt Prof. Hauner zu Bedenken. Am ehesten wird dies die Politik lösen können.Die neue Konstellation, die die Regierung bilden wird, sollte - laut Hauner - sowohl die Ziele Gesundheit des Menschen und des Planeten aber auch wirtschaftliche Interessen zusammenzubringen. Alle unter einen Hut zu bringen wird die Herausforderung in der Zukunft sein. Es geht darum, eine gemeinsame Basis zu finden. Wir wollen alle, dass unsere Kinder ein wertvolles Leben haben, zieht Prof. Hauner Bilanz.
EKFZ-Update Ernährungsmedizin - zukunftsweisend auch im Jahr 2022
Das Update Ernährungsmedizin bietet dabei eine prima Gelegenheit, einen Austausch der verschiedenen Interessengruppen in Gang zu bringen und die vielfältigen Herausforderungen auf der Ernährungsebene anzugehen, zu gestalten und für die Gesellschaft gewinnbringend umzusetzen. Somit leistet diese Veranstaltung einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung auf dem Gebiet von Public Health. Das nächste Update Ernährungsmedizin findet vom 21.-22. Oktober 2022 in München in Hybridform statt, um dem gewohnten Erfahrungsaustausch wieder mehr Raum geben zu können.
Nachgefragt
Was ist nun in Zukunft die beste Ernährung, für meine Gesundheit, für die Umwelt und für mein eigenes Wohlbefinden? Das lässt sich - gemäß Hauner - vergleichsweise einfach beantworten. Am besten ist eine pflanzliche betonte, abwechslungsreiche Ernährung, die aber auch gut schmeckt. Etwas Fleisch oder Fisch sowie Milchprodukte sind eine sinnvolle Ergänzung. Man muss nicht alles selbst zubereiten. Es gibt ein noch nicht üppiges, aber wachsendes Sortiment von gesunden, verzehrfertigen Produkten. Wichtig dabei ist, sich gesunde Produkte zu suchen, die schmecken. Eigene Zubereitung mit Vorratshaltung ist hier meist günstiger, erfordert aber einen häufig höheren zeitlichen Aufwand, den nicht jeder leisten kann oder will. Auf zuckergesüßte Getränke sollte weitgehend verzichtet werden, es gibt viele kalorienarme, z.T. süßstoffgesüßte Alternativen. Wichtig ist auch, sich selbst Regeln zu überlegen, einerseits für die Essenszeiten, andererseits zum Umgang mit den ständigen Verführungen am Arbeitsplatz oder anderswo. Klar ist, dass in unserer heutigen adipogenen Umwelt der Mensch nicht essen sollte, was und wann er will. Er braucht eine für ihn passende Strategie, um sich davor zu schützen. Es kann mühsam sein, sich umzustellen, aber es lohnt sich!